“Kultur-Splitter” – Wie ich die Langsamkeit verstehen lernte – oder Sten Nadolnys Zeitreise

Einmal wöchentlich möchte ich “Kultur-Splitter” posten. Das können Kunstwerke, Musikstücke, Bücher, Filme oder auch Gedichte sein, die mich mich beeindrucken, die ich gerade erst entdeckt habe oder die mich schon lange begleiten.
Heute soll es am „Welttag des Buches“ um Sten Nadolnys „Die Entdeckung der Langsamkeit“ gehen, das mich schon seit vielen Jahren begleitet!

Durch Zufall fiel es mir vor vielen Jahren in die Hand und wie üblich machte ich den „Test“, das hieß, ich las den ersten Satz. Macht er mich neugierig? „John Franklin war schon zehn Jahre alt und noch immer so langsam, daß er keinen Ball fangen konnte!“
Was für ein Einstieg, was für ein Satz. Das Buch war gekauft und im Laufe des Lesens wurde mir klar, das dies hier ein ganz besonderes Werk war.  Geschwindigkeit beschäftigte mich schon als Jugendlicher in der Schule. Meine eigene Geschwindkeit zu finden, das war eine Herausforderung.  Langsamkeit nicht als Stillstand zu definieren. Und wie schnell ist dann Langsamkeit? Wo hört sie auf? Wo fängt sie an? Fragen über Fragen, die ich mir schon immer gestellt habe – und dann dieses Buch!

Ich fühlte mich „erkannt“ – sicher keine objektive Kategorie der Kritik – aber verzeiht – es ist hier ein subjektiver „Gedanken-Splitter“.  Tatsächlich ist für Nadolny etwas ganz Besonderes und Erstaunliches  gelungen: die Langsamkeit von ihrem negativen (Bei-)Klang zu befreien. Es geht ihm um das Recht, die Welt in einer eigenen Geschwindigkeit zu entdecken. Dies geschieht jedoch nicht platt vordergründig, sondern dieses „Grundthema“ schmuggelt sich im Laufe der Geschichte ein.  Darüber hinaus ist sein Buch zugleich Seefahrerroman, Aussteigerroman und Liebesgeschichte.

Vordergründig erzählt Nadolny von dem britischen Seefahrer und Polarforscher John Franklin, der von 1786 bis 1847 gelebt hat und bei dem Versuch, die Nordwestpassage auszukundschaften, ums Leben kam.  Franklin ist „zu langsam“. Seine Augen und Ohren halten jeden Eindruck zwecks genauer Überprüfung auf, bevor sie das Signal ans Hirn weiterleiten. Er nimmt die Dinge erst wahr, wenn sie schon vorbei sind, er kann als Kind beim Spielen den Ball nicht fangen und er antwortet auf Fragen erst dann, wenn es längst zu spät ist. Diese scheinbare Begriffsstutzigkeit ist nichts anderes als eine „übergroße“ Sorgfalt des Gehirns.
Seine Langsamkeit aber kehrt sich im Laufe des Romans  in große Ruhe um!
Und mehr sei hier an dieser Stelle auch nicht verraten.

"Die Entdeckung der Langsamkeit" von Sten Nadolny

"Die Entdeckung der Langsamkeit" von Sten Nadolny

Außerdem  hat mich der Umschlag sehr gefallen. Darauf ist ein Ausschnitt von William Turners „Die Fighting Téméraire wird an ihren letzen Ankerplatz geschleppt“ abgebildet. Und passender Weise ist  Turner heute vor 241 Jahren in London geboren worden. Wer einmal in London zu Besuch ist, sollte die National Gallery, die Werke von ihm ausstellt, besuchen.

Aber das ist nur ein Nebenaspekt. Kauft das Buch und lest es in Ruhe!

 

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