Johannes Waldschütz ist Leiter des Museums und Stadtarchivs in Stockach
Jörn Brunottes Bitte, einen Beitrag zum Thema #closedoropen zu schreiben, komme ich gerne nach, wenn auch spät. Die Vorbereitung einer neuen Ausstellung dominiert meinen musealen Alltag: Leihanfragen, Ausstellungsgestaltung, Texte, Öffentlichkeitsarbeit … Zeit für anderes bleibt da wenig. In diesem Sinne ist dieser Beitrag ein Denkanstoß und kein sorgfältig recherchierter Erfahrungsbericht.
„Kultur halten wir zwar im hohem Maße für notwendig für die Gesellschaft, unsere Veranstaltungen müssen aber nicht jetzt stattfinden, sondern können auch zu einem späteren Zeitpunkt genossen werden.“ Mit diesen Worten sagte das Stadtmuseum Stockach seine Veranstaltungen wegen der sich verschärfenden Corona-Pandemie ab. Kurz danach schlossen wir das Haus. Beide Maßnahmen waren richtig. Mitte März galt es das Zeichen zu setzen, dass es jetzt unmittelbar wichtiger ist, die Ausbreitung des Corornavirus zu stoppen und insbesondere die Schwächsten unserer Gesellschaft zu schützen. In den Wochen danach haben sich viele Museen ins Digitale gestürzt: Es wurden digitale Führungen ersonnen, neue Social Media Accounts angelegt, Videos gedreht, oder relativ low tech – so wie bei uns – einzelne Exponate der laufenden Ausstellung vorgestellt. Ich habe dabei viel gelernt und ich meine wir wollten zu viel. Wir wollten alle gleich parat sein, ein digitales Programm vorweisen, zeigen, dass Museen sich anpassen können und digital offen waren, auch wenn wir physisch geschlossen hatten – #closedbutopen eben.
Bei unserem Angebot – und auch bei anderen Angeboten – konnte ich zunächst beobachten, dass es wenig Resonanz fand. Die Menschen waren mit einer ganz neuen Situation beschäftigt, hatten Angst um sich selbst oder Verwandte, wurden täglich mit neuen Meldungen und immer längeren Brennpunkten konfrontiert. Und dazu war das digitale Angebot riesig: Es gab Hauskonzerte, Onlinelesungen, digitale Führungen und vieles mehr. Und wenn die Menschen Zeit und Energie fanden, wollten sie einen kleinen Happen, keine ganze Führung, kein langes Video oder einen langen Text. Haben wir vor lauter Angst, plötzlich irrelevant zu sein, zunächst an unserem Publikum vorbeiproduziert? Ich meine ja. Sicher braucht es Zeit bis ein neues Angebot angenommen wird, insbesondere, wenn Kanäle vorher nicht bestanden oder bespielt wurden. Vielleicht hätte es aber nicht geschadet, erst einmal innezuhalten und dann – gestärkt und mit Konzept, Mitteln und Zielen versorgt – durchzustarten.
Ich glaube wir tun gut daran, diese Erfahrungen bei der Öffnungsdebatte zu bedenken. Mich hat es ein wenig befremdet, dass sich die Museen am Wettlauf, wer zuerst öffnen darf, beteiligt haben. Das setzt das falsche Signal, dass die Gefahr gebannt ist, dass die Maßnahmen vielleicht sogar übertrieben wurden. Unglücklich scheint mir auch, dass die Öffnung der Museen mit deren „Systemrelevanz“ begründet wurde. Sind wir denn systemrelevanter als Theater oder Symphonieorchester? Sind Bibliotheken systemrelevanter, weil sie früher öffnen durften als Museen? Mir scheint „Systemrelevanz“ im doppelten Sinne eine falsche Kategorie. Erstens ist nicht die „Systemrelevanz“ entscheidend, wenn Museen vor Theatern öffnen, sondern dass sie die Hygienemaßnahmen besser gewährleisten können. Zweitens: Was hilft es den Museen, wenn wir mantraartig unsere „Systemrelevanz“ betonen. Relevant werden Museen durch ihre Angebote, durch das was sie tun: Durch kreative Ausstellungsprojekte – wie das unlängst in diesem Blog von der Kunsthalle Bremen vorgestellte Projekt nachgestellte Kunstwerke auszustellen, durch neue Wege bei der Vermittlung oder die Kombination von digitalen und analogem Museumsbesuch.
Es scheint als wäre die Öffnung der Museen nicht zu früh gekommen. Wir haben Sicherheitskonzepte und Hygienemaßnahmen entwickelt und mit dem Hashtag #openbutsafe eine gute Kommunikationsgrundlage gefunden. Trotzdem haben wir alle bemerkt. Die Türen wurden uns zunächst nicht eingerannt. Es standen noch andere Probleme im Vordergrund. Auch an den Alltag muss man sich langsam erst wieder gewöhnen. Jetzt, ganz sicher in ein paar Wochen, haben die Menschen auch wieder Zeit und Muße in ein Museum zu gehen. Wenn wir Konzepte und Projekte finden, die die Menschen interessieren, berühren und neugierig machen. Wenn wir mehr über Inhalte sprechen, als darüber, dass wir wieder offen haben. Wenn wir zeigen, dass wir interessante Ausstellungen machen können und eine sichere und hygienische Umgebung schaffen können. Wenn wir das Digitale jetzt nicht wieder vergessen, sondern digital und analog kombinieren, dann haben wir gute Chancen, dass die Menschen wieder in die Museen strömen und dann haben wir auch deutlich gemacht, dass Museen und Kultur eine Bedeutung für die Gesellschaft haben. Ob wir eine Woche früher oder später aufgemacht haben, wird für die Bedeutung der Museen dagegen am Ende irrelevant sein.