In Krisen wie diesen, müssen wir schmerzlich feststellen, wie verwundbar wir sind, wir selbst und wir als Gesellschaft. Wir müssen zusehen, wie ein winzig kleiner Erreger von nur 100 Nanometer Durchmesser die ganze Welt in die Knie zwingt. Es gibt kein Gegenmittel, keinen Dr. McCoy, der mal schnell einen Impfstoff aus der Hand schüttelt. Überrascht müssen wir feststellen, dass wir in diesem Fall machtlos gegenüber der Natur sind. Einer Natur, von der wir glaubten, sie beherrschen zu können. Gleichzeitig erkennen wir unsere Abhängigkeit von unserer wirtschaftlichen Struktur, von Netzwerken, von Lieferketten.
Wir wissen nicht, wie lange das Virus noch unser Leben beeinflussen wird. Wir hoffen darauf, dass irgendwann ein Mittel gefunden wird, dass wieder alles so wird wie es einmal war. Im günstigsten Fall wird es so kommen. Wenn wir allerdings nichts aus dieser Krise lernen, war das, was wir gerade erleben, erst der Anfang. Die Krise hat uns gezeigt, dass eine einzige Virengattung unser System lahmlegen kann. Wie weitreichend müssen dann erst die Folgen sein, wenn global Ökosysteme und Nahrungsketten zusammenbrechen? Wir müssen gar nicht darüber spekulieren, was dann passiert, denn wir wissen es aus der Erdgeschichte. Wenn ein bestimmter kritischer Punkt überschritten ist, dann geht es rasant bergab. Wir wissen auch, dass sich die Natur wieder erholt. Allerdings dauert es erfahrungsgemäß mindestens 10 Millionen Jahre, bis der Status Quo wieder voll hergestellt ist.
Aus meiner Sicht als Naturwissenschaftler müssen wir erkennen, wo unsere Grenzen sind. Einige Wissenschaftler propagieren dagegen, die bevorstehende Katastrophe durch ein geschicktes „Erdsystem-Management“ oder durch eine „Medizin für die Erde“ verhindern zu könnten. Diese Hybris, die Natur beherrschbar machen zu können, wird uns aus meiner Sicht stattdessen geradewegs ins Verderben führen. Ein kleines Virus lässt uns ja schon alles auf die Füße fallen. Mich erinnert das alles an Goethes Zauberlehrling. Keiner soll sich einbilden, durch Drehen an ein paar Schräubchen so etwas Komplexes wie unsere globalen Ökosysteme managen zu können. Memento te hominem esse!
Wir haben ja noch nicht einmal unseren eigenen Körper wirklich verstanden. Keiner weiß, wie es der menschliche Organismus schafft, seine 100 Billionen Zellen so zu koordinieren, dass nichts schiefgeht. Das soll allerdings nicht heißen, dass uns unsere naturwissenschaftlichen Erkenntnisse nicht weiterhelfen. Unser Wissen kann uns dabei helfen einzusehen, dass wir der Natur nicht gegenüberstehen, sondern ein Teil dieses Organismus sind, der sich Erde nennt. Und dabei geht es nicht darum diesen Organismus zu beherrschen, sondern das zu verhindern was ihn krankmacht. Während meiner inzwischen vierzigjährigen Laufbahn als Biologe habe ich zunehmend
Respekt vor der Komplexität der Natur gewonnen. Je mehr ich verstehe, um so mehr empfinde ich Demut. Für Menschen einer Leistungsgesellschaft mag der Begriff Demut allerdings so attraktiv erscheinen, wie das Wort Brechdurchfall. Ebenso wie die Worte Behutsamkeit, Rücksicht und Verzicht. Aber genau das fehlt uns in unserer von Konsum geprägten Gesellschaft. Ich hoffe, dass die Fridays for Future Generation das versteht. Als Leiter einer naturwissenschaftlichen Bildungseinrichtung sehe ich es als meine Aufgabe aufzuklären und die Krise zu nutzen, um Anstöße zum Umdenken zu geben.
Dr. Bernd Herkner leitet das Naturhistorische Museum Mainz. Wissenschaftlich beschäftigt er sich u.a. mit evolutions- und wissenschaftstheoretischen Themen.