David Vuillaume ist seit 2017 Geschäftsführer des Deutschen Museumsbundes. Er war zuvor Generalsekretär des Verbandes der Museen der Schweiz. Seit 2014 ist er Vorstandsvorsitzender des Netzwerks Europäischer Museumsorganisationen (NEMO). David Vuillaume glaubt, dass Museen eine tiefgreifende Bedeutung für die Gesellschaft und setzt sich dafür ein, dass sie ihre Ziele durch Kooperation, Effizienz und Agilität erreichen können.
Er hat Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Museologie, Germanistik sowie Betriebswirtschaft studiert und sammelte in diversen Museumsnetzwerken umfangreiche Erfahrungen. David Vuillaume vertritt den Museumssektor im Rahmen des Deutschen Kulturrates und ist Vorstandsmitglied der Schweizer Informationsstelle zum Kulturerbe.
Jörn Brunotte: Lieber Herr Vuillaume, wie Sie bestimmt mitbekommen haben, läuft seit Anfang Januar, sozusagen parallel zum Shutdown, meine Blogparade #museumforfuture. Auf ihr haben viele Museen Einblick gegeben, wie sie versuchen, die Krise zu meistern. Der Museumsbund hat da eine eindeutige Aussage getroffen. Bereits am 2. Februar forderten Sie in einem Aufruf die schnelle Öffnung der Museen. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
David Vuillaume: Sogar bereits im November 2020, als die vom Bund und Ländern beschlossenen Maßnahmen die Museen zur erneuten Schließung zwang, haben wir die schnellstmögliche Wiedereröffnung der Museen gefordert. Es brauchte Zeit und Ausdauer bis unsere Argumente von den politischen Entscheidungsträgern und den Medien substanziell wahrgenommen wurden.
Gesundheit hat selbstverständlich die oberste Priorität, diesem Grundsatz schließt sich auch der Deutsche Museumsbund an. Museen sind jedoch keine Orte mit erhöhtem Risiko einer Infektion und haben strenge Hygiene- und Abstandsregeln umgesetzt, bereits nach dem ersten Lockdown. In Italien, Spanien, Österreich, Polen, Luxemburg, Belgien, in der Schweiz und weiteren Ländern sind die Museen offen und führen nicht zu höheren Infektionszahlen. Die Politik hat dort diese Tatsache erkannt.
Museen können bei einer schrittweisen Rückkehr zum normalen Alltag eine zentrale Rolle spielen. Sie bieten Anregungen, Austausch und geistige Erholung. Gerade ältere und von der Pandemie besonders betroffenen Menschen können in Museen einen wichtigen Teil ihres Alltags wiedergewinnen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden psychischen Belastung und Vereinsamung kann der Museumsbesuch ein wichtiger Lichtblick sein, der Halt und Hoffnung gibt.
Museen sind wichtige Erlebnis- und Bildungsorte, die für eine positive gesellschaftliche Entwicklung unerlässlich sind. In der Zeit, in der vielen Kindern und Jugendlichen droht, den Anschluss zu Schule und zum formellen Bildungssystem zu verlieren, sind die Museen mit ihren informellen Bildungsangeboten unverzichtbar.
JB: Weiterhin konstatieren Sie im Aufruf zum einen, dass die Museen mit guten Hygienekonzepten auf eine Öffnung vorbereitet sind und das zum anderen besonders die kleinen Museen unter den fehlenden Einnahmen leiden. Ist dies aber nicht ein Widerspruch? Viele – im wahrsten Sinns des Wortes – kleine Museen könnten bei einer Neueröffnung unter den Abstandsregeln nur ganz wenige Besucher*innen ins Haus lassen. Dafür wäre der Aufwand einer Öffnung (Personal, Klima etc.) jedoch nicht zu rechtfertigen, denn das würde sich schlicht nicht rechnen.
DV: Wirtschaftlich sind die privaten Museen am stärksten betroffen, zusammen mit großen öffentlichen Institutionen, die auf Tourismus angewiesen sind. Diese haben seit einem Jahr ihre Schutzmaßnahmen, auch baulicher Art, erhöht. Auch kleine Museen leiden unter der Schließung, manchmal auch, weil ihre freiwilligen Mitarbeitende zu den Risikogruppen gehören. Dank Unterstützungsprogrammen konnten sie auch in Schutzmaßnahmen investieren. Sicher bleibt für alle Museen: In den Monaten nach der Wiedereröffnung werden überall die Abstandsregelungen noch gelten. Die Krise ist leider nicht am Tag der Wiedereröffnung zu Ende und die Museen werden leider nicht sofort mit den gleichen Besuchszahlen und Einnahmen wie vor der Krise rechnen können.
JB: Wodurch zeigt sich eigentlich die (vielfach medial behauptete) Systemrelevanz von Kultur und Museen? Ist es nicht vielmehr so, dass den meisten die Museen herzlich egal sind. Selbst in der Politik rangieren sie in der Aufmerksamkeit hinter den Frisören.
DV: Tatsächlich besucht ein Großteil der Bevölkerung keine Museen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Museen für diese Menschen nicht relevant sind. Museen gehören zur öffentlichen Infrastruktur, die den Bürgern gehören und ihnen zur Verfügung stehen. Wir gehen – hoffentlich – nicht ständig ins Krankenhaus; wir wissen jedoch, dass diese Einrichtung für uns vorhanden ist. Museen bieten der Bevölkerung nicht kommerzielle Orte der Bildung und Begegnung vor dem Hintergrund von Kunst, Kultur, Geschichte, Naturkunde und Technik. Es ist ein einzigartiges Angebot.
Was die Wahrnehmung des Museumssektors seitens der Politikerinnen und Politiker angeht, gebe ich Ihnen recht: Die mehr als 7.000 Museen, private wie öffentliche, kleine wie große, wurden während der Pandemie von vielen Parteien, Ministerpräsidierenden und Kanzleramt schlicht und einfach vergessen. Die Museen waren im Bund-Länder-Beschluss vom Oktober 2020 nicht genannt, was zu großer Verwirrung führte. Mussten sie sofort wieder schließen oder durften sie offenbleiben? In der Begründung des Bevölkerungsschutzgesetzes vom November 2020 wurde die Kultur nicht einmal aufgeführt. Das alles war inakzeptabel. Im Beschluss von Februar sind die Museen genannt – sogar die Kanzlerin hat sie während der Pressekonferenz erwähnt – und eine erste Perspektive wurde aufgezeigt. Wir haben damit ein wichtiges Ziel erreicht.
JB: Ich befürchte, dass viele Kommunen, die jetzt in der Krise unter Finanzdruck stehen, in Zeiten nach Corona besonders bei der Kultur und den Museen sparen werden. Wie wollen Sie dem begegnen?
DV: Nach der Krise wird es eine zentrale Diskussion geben, nämlich wie wir wieder Leben in die Städte und Gemeinden, in den öffentlichen Raum bringen, wie wir wieder eine lebendige Gemeinschaft fördern. Dabei spielen die Musen eine zentrale Rolle. Wenn kommunale Träger bereits jetzt Spardebatten führen und schon jetzt erste Kulturetats gekürzt werden, dann ist das Sparen am falschen Ende.
Die Museen müssen nicht nur in der Krise, sondern auch nach der Krise unterstützt und nicht durch Spardebatten und gekürzte Kulturetats zusätzlich gefährdet werden!
JB: In der Krise wird immer wieder argumentiert, dass der analoge Besuch der wahre ist. Die digitalen Angebote werden als „Übergangslösungen“ gesehen, die jetzt ihren Nutzen haben. Ich befürchte, dass sich die konservative Fraktion durchsetzen wird, und nach Ende der Krise die Digitalisierung wieder halbherzig gefördert/unterstützt wird. Wie ist da die Position des Museumsbundes?
DV: Der Deutsche Museumsbund beschäftigt sich intensiv mit digitalen Themen. Wir sind überzeugt, dass der digitale Wandel den Museen und ihren Trägern zahlreiche Chancen bietet. Das betrifft die interne Arbeitsweise und Organisation ebenso wie die Ansprache des Publikums und die Vermittlung musealer Inhalte. Die Digitalität prägt das ganze Betriebssystem Museum in all seinen Bereichen und verändert es. Analoge und digitale Instrumente sind kaum mehr zu trennen.
Was das reine Publikumsangebot anbelangt, kann ich mir gut vorstellen, dass nach der Krise die körperliche Erfahrung von Museumsräumen und das soziale und emotionale Erlebnis vor Ort wieder in den Vordergrund rücken wird. Das ist verständlich. Museen wollen endlich wieder Menschen analog empfangen und die Besucher wollen wieder ins Museum. Trotzdem glaube ich, dass die Verflechtung von digitalen und analogen Aktivitäten einen unaufhaltsamen Prozess darstellt.
JB: Was sind für den Museumsbund – neben den bereits angesprochenen Themen – die wichtigsten weiteren Probleme der Zukunft, die es zu lösen gilt?
DV: Die Liste ist lang… Wir wollen eine langfristige Bildungsvision für den Museumssektor verwirklichen, die die Museums- und die Besucherperspektiven stärker miteinander in Beziehung setzt. Wir wollen die Museen weiter motivieren, sich besucherorientiert aufzustellen, um Ihre Angebote auf die Bedürfnisse einer diversen Besucherschaft anzupassen. Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass die Museen genügend Mittel zur Verfügung gestellt bekommen, um die noch unzureichende Inventarisierung und Provenienzforschung durchführen zu können. Wir werden uns auch in Zukunft dafür einsetzen, dass professionelle Museumsarbeit eine angemessene Anerkennung erfährt. Dazu gehört eine gerechte Bezahlung und passende Fortbildungsmaßnahmen für die sich im Wandel befindenden Museumsfunktionen. Zudem – ja die Liste ist lang – werden wir die bilateralen Beziehungen mit der Museumslandschaft unserer Nachbarländer stärker pflegen und schließlich werden wir uns mit den drei Aspekten der Nachhaltigkeit (Umweltschutz, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit) auseinandersetzen.
Das sind ehrgeizige Ziele. Aber mit der Unterstützung der Museen und unseren Partnern wird unser Dachverband seinen Beitrag leisten.
JB: Lieber Herr Vuillaume, ich danke Ihnen für das Gespräch!