Die Lebensrefom war eine Bewegung, die eine Orientierung an den Maßstäben der Natur einforderte. Das Bestreben nach einer naturgemäßen Lebensweise geht zurück auf die medizinische Sozialhygiene des aufgeklärten Absolutismus, setzte sich dann fort in der Naturheilkunde und erweiterte sich in der wilhelminischen Zeit ab 1890 zur speziell deutschen, stark protestantisch geprägten Lebensreform als einer sozialen Reform- bewegung des dritten Weges jenseits von Kapitalismus und organisiertem Sozialismus mit einer Vielzahl von Richtungen und Vereinigungen. Aber eines verband sie alle. Sie wollten „siedeln“, zurück aufs Land. „Siedeln“ war vom Beginn der wilhelminischen Zeit bis zum Ende der Weimarer Republik nicht nur ein Begriff, sondern eine Bewegung. Die Flucht aus der Stadt als dem Ort, an dem Arbeit nicht als Selbstverwirklichung, sondern nur als Entfremdung erlebt wird, die Errichtung »alternativer« Lebens- und Arbeitsgemeinschaften auf dem Lande – so aktuell und zeitgenössisch dies auch klingt: als Erscheinung ist es nicht neu.
Ulrich Linse stellt in seiner reichhaltigen Quellensammlung Zurück o Mensch, zur Mutter Erde fünfzehn ländliche Kommunen aus den Jahren 1890 bis 1933 vor. Anhand von Manifesten und Briefen, Zeitschriftenartikeln, privaten Aufzeichnungen und Fotos dokumentiert er die gesellschaftlichen Hintergründe und die Alltagspraxis und zeigt die weltanschaulichen Motivationen der deutschen Siedlungsbewegungen dieser Zeit auf. Die Bandbreite reicht von lebensreformerischen (vegetarischen) und jugendbewegten Siedlungen über anarcho-kommunistische und völkische, christliche und jüdische bis hin zu den ersten Frauenkommunen.
Trotz unterschiedlicher Zielsetzungen läßt sich ein gemeinsamer Nenner erkennen: Industrialisierung und Kapitalismus, bürgerliche Lebenshaltung und Generationenkonflikt werden von einem Teil der (überwiegend intellektuellen) Jugend mit dem Entwurf und der Errichtung alternativer Lebens- und Gesellschaftsmodelle beantwortet.
Der Ausruf Zurück o Mensch, zur Mutter Erde ist übrigens die Anfangszeile eines Gedichtes von Karl Bartes, einem der Begründer der Obstbausiedlung Eden in Oranienburg. Diese exisitiert übrigens heute noch!
Eine unbedingt lesenswerte Quellensammlung. Leider ist das Buch schon lange vergriffen und nur noch antiquarisch zu erwerben.