Ernst Barlach hat mich schon immer begeistert. Als Junge sah ich die ersten Plastiken von ihm. Seitdem bin ich – ganz umakademisch – begeistert von seiner Formensprache und beschäftige mich mit seinem Werk.
Peter Paret, gebürtiger Berliner und Historiker-Emeritus am Institute for Advanced Studies in Princeton, befasst sich in seinem Buch Ein Künstler im Dritten Reich. Ernst Barlach 1933 – 1938 mit der letzten Schaffensperiode des Künstlers. Paret schildert detailliert Barlachs Kampf für die Freiheit der Kunst gegen die Diktatur sowie die Entstehungsgeschichte der nationalsozialistischen Kunstpolitik. Diese war zu Beginn der Naziherrschaft nicht so monolithisch, wie man das annehmen könnte. Vielmehr bestanden noch mehrere Strömungen nebeneinander. Eine Berliner Gruppe des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes wollte die völkische mit moderner Kunst verbinden. Als selbstverstandene Avantgarde der NS-Bewegung, verlachte sie ein rückwärtsgewandtes Kunstverständnis und setzte einen „nordischen Modernismus“ als Weg zwischen kosmopolitischer Abstraktion und spießigem Realismus dagegen. Vor allem im deutschen Expressionismus erkannte sie die gleiche Kraft, mit der sie selbst das alte System bekämpfte.
Propagandaminister Goebbels, der selbst einige Plastiken von Barlach besaß, schlug sich anfänglich auf die Seite der Studenten. Dadurch geriet er in eine Kontroverse mit Alfred Rosenberg, dem Rassentheoretiker der Nazis. Die Kontroverse wurde durch Hitler, der sich lange nicht zu der Ausrichtung der Kunst im sogenannten „Dritten Reich“ geäußert hatte, zugunsten von Rosenberg beendet.
Die Folge war die systematische Verfemung von Barlachs Kunst und die Behinderung seiner Arbeit. Friedrich Hildebrandt, Reichsstatthalter und Gauleiter von Mecklenburg, machte lokal und regional gegen ihn Stimmung. Landesweit schoss sich NS-Kulturwächter Alfred Rosenberg im „Völkischen Beobachter“ auf Barlach ein. 1938 geriet dieser ganz offiziell auf den Verbotsindex. 400 seiner Werke wurden aus Museen und Sammlungen entfernt, zwei davon gelangten in die Ausstellung „Entartete Kunst“.
Doch Barlach weigerte sich, eine Opferrolle einzunehmen. Er lässt und ließ sich nicht politisch vereinnahmen. Paret bringt es auf den Punkt: „Die Themen einer Werke offenbaren, wie fremd Barlach jeglicher Parteigeist in der Kunst war. Seine Plastiken wie sein grafisches Werk zeigen Menschen, die versuchen, mit sich selbst ins Reine zu kommen und mit der Gleichgültigkeit oder Feindseligkeit ihrer Umwelt fertig zu werden. […] Der Verzicht auf jede propagandistische Symbolik machte es wenigstens möglich, die stillschweigende Ablehnung jeglicher Ideologie zu übersehen, die den Menschen als Rohmaterial für ihre Zwecke betrachtete.“
Trotzig schnitzte und zeichnete er weiter. Aber die ständigen Angriffe in der Öffentlichkeit, die Sorgen um seine Werke, die abgebaut oder gar drohten, eingeschmolzen zu werden, und die finanziellen Sorgen zerrten an seiner Gesundheit. Am 24. Oktober 1938 erlag Barlach einem Herzschlag.
Das Verdienst von Parets Buch ist es, Barlachs Menschlichkeit, seine Suche nach gültigen Formen und einer freien Kunst auf der einen und die ideologische Verfemung, Verfolgung und kleinbürgerlich, fanatische Exekution auf der anderen, aufzuzeigen.
Das Buch gemahnt uns, nie wieder eine ideologische Prägung von Kunst zuzulassen! Und es richtet unseren Blick auf eine Künstler, den es immer wieder zu entdecken gilt! Wie schrieb Brecht über Barlach:„Ich halte Barlach für einen der größten Bildhauer, die wir Deutschen gabt haben. Der Wurf, die Bedeutung der Aussage, das handwerkliche Ingenium, Schönheit ohne Beschönigung, Größe ohne Gerecktheit, Harmonie ohne Glätte, Lebenskraft ohne Brutalität machen Barlachs Plastiken zu Meisterwerken. In seinen für mich schönsten Plastiken läßt er die menschliche Substanz, das gesellschaftliche Potential, herrlich über Entrechtung und Erniedrigung triumphieren, und das zeigt seine Größe.“
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