Heute bloggt Dr. Markus Speidel, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Planungsstabes Stuttgarter Stadtmuseum, als Gastautor über die Tagung des Deutschen Museumsbundes zum Thema „Alle Welt im Museum? Museen in der pluralen Gesellschaft“. Der Kulturwissenschaftler und Technikhistoriker befasst sich intensiv mit der Wirtschafts-, Sozial- und Migrationsgeschichte Stuttgarts und schildert hier seine Eindrücke der Veranstaltung:
Es war die bisher bestbesuchte Jahrestagung des Deutschen Museumsbundes, die vor wenigen Tagen in Stuttgart zu Ende ging. Über 400 Mitglieder diskutierten über die Auswirkungen einer sich verändernden Gesellschaft auf die Museen. Das Programm klang viel versprechend, da der sich Museumsbund glücklicherweise zunehmend davon verabschiedet, hauptsächlich Direktoren reden zu lassen. Man engagierte externe Fachleute, von denen dann auch die provokanten Thesen kamen und der Tagung den entsprechenden „Biss“ gaben. Hierbei sind vor allem Rolf Graser (vom Forum der Kulturen in Stuttgart), als auch Mark Terkessidis zu nennen. Nicht zu vergessen Joachim Baur, der zwar kein Externer ist, aber trotzdem provoziert. Während Rolf Graser deutliche machte, dass Teilhabe auch teilen bedeutet, nicht nur in Bezug auf Deutungshoheiten, sondern auch bei den Ressourcen, verlangte Mark Terkessidis, dass die Parallelgesellschaft Museum sich endlich in die Gesellschaft integrieren müsse, wenn sie noch eine Daseinsberechtigung bzw. Relevanz entwickeln soll. Joachim Baur hingegen betonte, dass die Zeit der Jubiläumsausstellungen und der biographischen Ansätze mit Betroffenheitsgefühl vorbei ist, und die Migration nun endlich integraler Bestandteil von Ausstellungen werden muss.
„Multiperspektivität“ vs. „weitere Zielgruppe“
Erstaunlich war, dass die Tagungsteilnehmer grundsätzlich in zwei Gruppen eingeteilt werden konnten. Die erste Gruppe hantierte mit Begriffen wie „Inter- oder Transkulturalität“ und betrachtete die gesellschaftlichen Veränderungen nicht nur als einen weiteren Zielgruppenwechsel. In dieser Gruppe ist das Verständnis vorhanden, dass Museen sich grundlegend verändern müssen, dass sie nicht mehr die alleinige Deutungshoheit besitzen, sondern sich der Multiperspektivität, der Teilhabe und der Partizipation öffnen müssen. Die zweite Gruppe betrachtet „die“ Migranten einfach als weitere Gruppe nach den „Arbeitern“ und den „Frauen“, die man jetzt eben, weil „en vogue“ auch ins Museum holen muss, sei es inhaltlich und/oder als Besucher. Es wird spannend zu beobachten, welche der beiden Gruppen eine breitere Mehrheit hinter sich bekommen und ob sich tatsächlich eine Veränderung in der deutschen Museumslandschaft Bahn brechen wird. Es gibt viele spannende Projekte, die sich und die Bedeutung von Museen hinterfragen, dazu gehören das Bezirksmuseum Friedrchshain-Kreuzberg, das historische Museum Frankfurt, oder (um ein bisschen Eigenwerbung zu betreiben) das Stadtmuseum Stuttgart. Hier wird überall mit Mitteln der Teilhabe und Partizipation experimentiert, um den Anspruch zu erfüllen, ein Museum für alle Besuchsgruppen zu werden.
Mut zur „Veränderung“?
Zurück zur Tagung. Bei allen Podien und Vorträgen wurde jedoch deutlich, dass eine große Zurückhaltung vor Veränderungen herrscht (nicht umsonst heißen die wissenschaftlichen Mitarbeiter im Museum „Konservatoren“). Zudem dürfen diese Veränderungen nicht nur auf das Thema Migration verengt werden, trotzdem ist es zwingend notwendig, dass im Moment vom Arbeitskreis Migration des DMB ein Leitfaden zum Thema Migration und kulturelle Vielfalt erarbeitet wird. Die Auswirkungen der starken Migrationsbewegungen der letzten 60 Jahre sind sicherlich der Auslöser für die aktuelle Debatte, dürfen aber nicht der Endpunkt sein. Ein Museum der Zukunft muss meiner Meinung nach einer pluralen Gesellschaft gerecht werden, um relevant zu bleiben. So heißt auch die neue Denkschrift des Deutschen Museumsbundes: „Museen zwischen Qualität und Relevanz“.
Die Museen können keine Orte der bürgerlichen Selbstvergewisserung bleiben. Was das bedeutet? Das hat die Tagung nicht beantwortet, aber sie hat endlich die Frage prominent gestellt. Ob sich nun die Museen auf den Weg machen Antworten zu finden bleibt fraglich, aber auf jeden Fall spannend und zu hoffen.